Regenhunde und kaputte Uhren
Die Tales from the Underground habe ich selbst.
du solltest sie kaufen, es lohnt sich. sagt sie. Und die Bootlegs? fragt er. Florenz oder Den Haag? Ich weiß nicht. sagt sie. Beide von der Mule Variations Tour? Ja. sagt er und schaut sie an. Kommst du von hier? Ist das wichtig? fragt sie. Gehen wir irgendwo was trinken? Sie überlegt kurz. Welches ist dein Lieblingsalbum? Ich weiß nicht genau, sagt er. Blue Valentine vielleicht. Wusstest du, dass Winona Ryder Closing Time immer bei sich trägt, wenn sie auf Reisen geht? Bei mir ist es Heartattack and Vine. sagt sie. Und dann: Ich weiß, wo wir hin gehen können. Er zahlt. Sie lächelt. Er folgt ihr auf die Straße. Der Regen ist wie Wein und er trägt seine Früchte schon seit Tagen. Die U-Bahn ist überflutet. Er hat keinen Schirm und sie trägt nur eine dünne Jacke. Aber der Herbst ist warm in ihrem Jahr. Und lang. Sie trinken Chivas Regal in der Straßenbahn. Sie reden Stunden und Tage und Nächte und Monate und Jahre und leben und sterben und spüren die goldene Stille der Stadt, die Kafka sich so niemals träumte. Es wird spät. Sie bleiben. Sie sind Nachtfalken. Keine Namen, keine Fragen, keine Vergangenheit. Keine Zukunft. Sie ist Martha. Er ist Tom Frost. Es war schön. sagt sie. Ja. sagt er. Sie lächelt. Mögest du immer Konfetti in deinen Haaren haben. Du auch. sagt er. Es ist Zeit. Goodbye. Sie gehen. Und auf der Suche nach dem Herzen jener Samstagnacht sind sie selbst die Rosen, die sie in den Regen werfen.
[ erlebt: 20-jährig / 2002 ] [ Medium: Text-Datei ] [ Archivierung: Laptop-Festplatte / desktop / Ordner: worte / Word-Dokument ] |
»Regenhunde und kaputte Uhren« ist die Erinnerung an ein Gespräch über Tom Waits mit einer vollkommen Fremden in einem Plattenladen in Prag im Herbst 2002. Ich stöberte in einem kleinen Geschäft und fand ein paar CD-Bootlegs (inoffizielle Konzertaufnahmen und/oder offiziell unveröffentlichte Studioaufnahmen), die ich immer wieder von allen Seiten prüfte, in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis auf ihre inhaltliche und klangliche Qualität zu bekommen. Plötzlich sprach mich dann ein Mädchen, das etwa in meinem Alter war, auf Englisch an und gab mir Empfehlungen, die auch dazu führten, dass ich mir etwas kaufte. Daraus entwickelte sich ein Gespräch und schließlich fanden wir uns in einer kleinen Bar wieder, die sich in einem alten Straßenbahnwagen auf dem Wenzelsplatz befand. Tatsächlich unterhielten wir uns ausschließlich über die Musik von Tom Waits (von dem ich seit ca. 1995 ein großer Fan bin) und auch, wenn ich aus poetischen Gründen hier und da ein paar Details erfunden habe, so war es doch eine mehr als erinnerungswürdige Begegnung.