Auf der Vogelinsel Mellum




[ erlebt: 21-jährig / 1973 ]
[ Medium: Negativ-Foto-Abzug ] [ Archivierung: Wohnzimmer / Schrank / Fotoalbum ]

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Bei Betrachtung dieses Bildes werden Erinnerungen wach an einen der schönsten Zeitabschnitte meines Lebens. Vom Frühjahr bis Herbst 1973 lebte ich auf der Vogel­insel Mellum, einer unbewohnten Insel im Nationalpark »Niedersächsisches Wattenmeer«. Ich lebte ein wenig wie Robinson Crusoe. Auch ich verbrachte mit meinem »Begleiter Lothar« sechs Monate auf dieser einsamen Insel.
       Lothar war seinerzeit der erste Zivi im Umweltschutz der BRD. Er trat seinen Dienst am 1.4.1973 im Einverständnis mit dem Leiter der Vogelwarte Helgoland an. Das Gesetz kam aber erst Mitte Mai im Bundestag durch. Ich habe auf Mellum ein Urlaubssemester verbracht, um meine erste Examensarbeit für die Pädagogische Hochschule im Fach Biologie zu schreiben. Unsere Aufgabe auf Mellum war die Vogelzählung. Konkret hieß das für uns: Zugvögel zählen, fangen und beringen, Versuche zum Brutverhalten von Silbermöwen machen, Brutvögel der Insel feststellen und Mellum vor unbefugten Besuchern schützen.
       Wenn ich dieses Bild betrachte, werden auch viele andere Bilder in meinem Kopf freigelegt: Ein kleines weißes Haus, kein Strom, waschen draußen im Verschlag, Brennholz am Strand sammeln, vorbeiziehende Fischkutter und Ozeanriesen. Sechs Monate lang bin ich barfuss über Sand, glitschiges Watt und Muschelfelder gelaufen. Ich höre wieder das Geschrei der Möwen und Austernfischer. Ja, ich sitze wieder am Rande der Insel. Hoch ragt die Mellumbake in den Abendhimmel und spiegelt sich in den Pfützen des Wattenmeeres. Für einen Moment bin ich wieder jung und auf Mellum.


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