Lieblingsmensch





TRANSKRIPT
Nr. I 10/26/2002   ¶   Hi B.chen!   ¶   Ich hab mir einfach mal gedacht, die B. kriegt gerne Post, also schreib ich ihr mal viele Briefe auf einem Haufen (hab ja ganz schön was gut zumachen, hab mich ja ganz schön lange nicht gemelden!!! Macht sich also schon bemerkbar, die paar Wochen! Dafür aber ganz ehrlich an dich gedacht und hoffe du hast jetzt irgendwo ’ne E-Mail Adresse). Also das ist Brief Nr. I zum Thema: Wie geht es B.?   ¶   Nicht über die komische Komma­setzung und Rechtschreibung wundern   ¶   So, wie geht es denn also B.? Ist mit Möhrchen alles in Butter? Ich hoffe mal ganz stark schon!   ¶   Ist mit Carolin (und Florian) alles ok? Was hat sich denn nach Spanien ergeben?   ¶   Ist in der Schule alles gut? Dein Stundenplan hat sich toll angehört, klang so nach Oberstufe! War ja echt eifersüchtig. Ich hab von Annika ’ne Mail bekommen und sie meinte, es wäre doch ganz schön viel Arbeit. Wie sind denn deine Kurse so?   ¶   Bist du zufrieden? Kommst du mit allen Leuten klar, oder gibt es Probleme mit allen? Mehr Fragen fallen mir gerade nicht ein! Bin aber echt auf die Antworten gespannt.   ¶   Line





Nr. 2 10/26/2002   ¶   Zum Thema: Amerikanisches Essverhalten (Man könnte diese Art Briefe zu schreiben auch verschwenderisch nennen. Also ich hoffe, du denkst an die armen Bäume die für das Papier sterben mussten und an meinen Geldbeutel der unter Briefmarken leidet, nur um deinen Drang nach Briefen zu stillen. Aber es macht Spass dich, hoffe ich zumindest, zu erfreuen)   ¶   Nun zum Thema:   ¶   Ich habe noch nie so verschwenderische Leute gesehen. In unserer Schulcafeteria holen sie alle einen Haufen an Futter (es gibt meistens Pizza, Burger, Chicken Stipes, French Fries, French Toas, Fishsteak, aber auch Suppe und Salat) und werfen dann die Hälfte oder mehr weg.   ¶   Es gehen wirklich fast alle 6 mal die Woche zu Burger King, Mc Donalds, Subway, Dairy Queen, etc. und essen da zu Abend. Und wo ich gerade bei den verschiedenen Ketten bin, es gibt nur Ketten. Keine eigenständigen Lokale. In jeder amerikanischen ”Stadt“ (komme ich in Nr. 3 noch genauer drauf zu sprechen) die gleichen Ketten. Du bekommst überall das gleiche Futter. Ich vermisse gutes, deutsches Brot und Bioaufstrich.   ¶   Meine neueste Entdeckung: Erdnussbutter kann man mit fast allem essen. Top: mit Banane oder Apfel   ¶   Caro





Nr. 3 10/26/2002   ¶   amerikanische Kleinstädte   ¶   Ich würde sagen, es gibt keine. Wirklich! Amerika hat zum grössten Teil (auf jeden fall in Minnesota rund um die Twin-Cities) klein, hässliche Holzhäuser. Klein und entweder zu ordentlich order das krasse Gegenteil.   ¶   Einkaufen geht man in grossen Einkaufszentern. 4x so groß wie unser Marktkauf und man kann von Fotoladen bis zur Apotheke alles finden.   ¶   In unserem Blumenladen gibt es Rosen aus dem Kühlschrank für ca. 3,50 € und viele, viele Kunstblumen. Die Häuser sind echt so eine Art Fertigmodell. Nicht wirklich schön und stilvoll. Es gibt auch keine Fußgängerzone.   ¶   Ich kann nur eins sagen:   ¶   Schätze die Lübbecker Innenstadt!   ¶   Sogar die von Holzhausen ist 1000x mal schöner.   ¶   Grüsse vom Bärchen, er macht einen guten Job!   ¶   Carolinchen   ¶   Wir haben jetzt I.30 a.m. und ich muss schlafen (was man an Schrift und Ausdruck sieht). Fortsetzung folgt: Thema: Gastfamilie, Schule, Boys



[ erlebt: 17-jährig / 2002 ]
[ Medium: Brief ] [ Archivierung: WG-Zimmer / Schreibtisch ]

w23
[w23] Es war einmal vor nicht allzu langer Zeit ein Mädchen, das auszog Amerika zu entdecken. Zurück ließ sie eine Freundin, die sie sehr vermissen sollte...
       Carolina habe ich bereits in der siebten Klasse kennen gelernt, richtig angefreundet haben wir uns allerdings erst ca. zwei Jahre später. Zum Glück. Zu der Zeit als wir uns näher anfreundeten, hatte ich gerade für mich beschlossen, dass meine damaligen Freunde alle »oberflächliche Schnösel« seien und ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollte. Wie genau es dazu kam, dass Caro und ich uns anfreundeten, kann ich im nachhinein gar nicht mehr so genau sagen. Ich weiß nur, dass wir immer mehr alles in der Schule zusammen machten, wie Gruppenarbeiten, Referate etc. und irgendwann uns auch nach der Schule andauernd sahen.
       Mit Caro hatte ich endlich einen Menschen gefunden, den ich für mindestens ebenbürtig hielt und darüber hinaus einfach tierisch toll fand. Mit ihr konnte ich über all meine Hirngespinster reden und wenn es sein musste, auch mal kräftigst das Herz ausschütten. Ich konnte einfach ich selbst sein. Damals habe ich einmal die Formulierung »Lieblingsmensch« für sie gewählt und wenn ich heute darüber nachdenke, trifft das immer noch zu. Denn bis heute habe ich selten jemanden getroffen, der so rechtschaffend und gut ist. Ich glaube, es gab damals niemanden, der Caro nicht mochte, denn, so habe ich das zumindest immer gesehen, so jemandem wie ihr konnte man sich einfach nicht entziehen. Es ist nicht so, dass Caro das beliebteste Mädchen der Schule gewesen wäre, dafür war sie einfach viel zu zurückhaltend. Aber jeder der sie kannte, musste ihre Art einfach zu schätzen wissen. Kurzum, aus tiefstem Herzen kann ich sagen, dass ohne Caro die Schulzeit nur halb so schön gewesen wäre.
       Um so schlimmer war es dann, als ich erfuhr, dass Caro für ein Jahr nach Amerika wollte. Ich habe mir damals oft gewünscht, dass irgendwas dazwischen kommen möge, sodass Caro doch nicht würde fahren können. Pustekuchen. Es kam wie es kommen musste. Caro war weg. Und eine lange Zeit kam nichts. Schule war doof. Total doof. Ich erinnere mich an einen Streit mit meiner Mutter, weil sie mir kein Internet besorgen wollte, weswegen ich mir keine Email-Adresse machen konnte, um vernünftig mir Caro schreiben zu können und gab meiner Mutter die Schuld an dem nicht vorhandenen Kontakt.
       Und dann kam er endlich, der Brief. Beziehungsweise drei Briefe. Drei Briefe, die mir sagten, dass sie mich nicht vergessen hatte, die mir die Wartezeit ein wenig erträglicher machten. Nach den drei Briefen kamen, soweit ich mich erinnern kann, nicht mehr allzu viele und ich glaube, ich bekam im Laufe des nächsten halben Jahres sogar Internet... Aber das spielte absolut keine Rolle mehr. Diese Briefe bedeuteten, dass sie mich nicht vergessen hatte und das war unglaublich viel wert für mich.
       Natürlich kam Caro dann irgendwann wieder und alles war beim Alten, bis wir dann schließlich, zwei Jahre später, aufbrachen in die Ferne, um was aus uns zu machen. Mittlerweile sind wir beide nun seit drei Jahren am Studieren, in unterschiedlichen Städten und kaum noch zu Hause. Ich habe Caro nun seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen. Und das, obwohl kaum eine Woche vergeht, in der ich nicht wenigstens einmal an sie denke. Unvorstellbar wäre das früher für mich gewesen, nichts von ihr zu hören oder zu wissen. Umso erstaunlicher ist es heute für mich, zu erleben, wie das Leben zwei Menschen auseinander führt... und vielleicht am Ende doch wieder zusammen...?
       Wie die Geschichte ausgeht, bleibt abzuwarten. Alles ist möglich. Die Briefe habe ich die ganzen Jahre über separat in einem kleinen Schatzkästchen aufbewahrt, welche noch in meinem alten Kinderzimmer stehen, neben anderen kleinen Dingen, die mir viel bedeuten. Zu meinem Glück, denn meine eigentliche Briefe-Kiste landete gedankenloserweise durch Fremdverschulden auf dem Müll. Jetzt liegen die Briefe in meinem neuen Zimmer neben mir auf dem Schreibtisch und warten darauf, hier einen sicheren Platz zugeteilt zu bekommen. Geschützt davor, aus der Erinnerung gelöscht zu werden.


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