Der Abschlussball



TRANSKRIPT
2.10.97 Sonntag   ¶   In meinem alten Tagebuch habe zum letzten Mal vor über einem Monat reingeschrieben. Wer es liest (was ich ja wohl nicht offen will!) wird sich fragen: „Mann, hat die sich oft verliebt!“ Das stimmt auch. Ich war so oft verknallt, aber irgendwie nie richtig. Ich weiß auch nicht, ich glaube in meinem Alter geht das sehr schnell. Seit kurz nach den Ferien bin ich ja bei Stüwe im Anfängerkurs. Es ist richtig toll da und ich hab einige Leute kennengelernt, vor allem Jungs. Von den Kursteilnehmern selber konnte ich mir Donnerstag aber so ziemlich keinen vorstellen, mit dem ich zum Abschlussball gehen könnte. Irgendwie können die Jungs bei uns fast alle nicht tanzen. Sie haben kein Taktgefühl und sind zu langsam.



LINKS Es ist ganz schön anstrengend einem Jungen dort klarzumachen, daß sie führen sollen und Zeichen geben sollen. Bei Tänzen gibt es ja keine bestimmten Regeln wann und wie man z.B. eine Drehung machen soll. Aber das scheint ja unglaublich schwer zu sein. Bei den Partys mache ich oft den Mann, wenn ich mit Caro, Lea oder Karo tanze. Ich war ziemlich ratlos im Bezug auf den Abschlussball. Naja, es gab ja auch noch Gastherren, Fabian z.B. Einen Gastherren hatte ich jedoch bereits im Auge. Ich habe schon oft mit einem Philipp getanzt, der mir unglaublich sympatisch war. Donnerstags ist er Gastherr und Freitags macht er selber einen Tanzkurs. Wir verstehen und sehr gut und mach immer viele Witze. Am Donnerstag habe ich mich zu erst nicht richtig getraut ihn

RECHTS aufzufordern, ich wollte nicht aufdringlich sein und ihn nicht auf die Nerven gehen. Wie auch immer. Als es schon ungefähr 18.50 Uhr war, da habe ich mir gedacht, „jetzt fordere ich ihn doch auf“. Es war der letzte Tanz das Abends und es war Damenwahl. Auf Zeichen von Adam setzte sich die Masse dann in Bewegung. Ich ging auf Philipp zu. Die Tänzer strömten aus und ich konnte ihn nicht mehr sehen. Doch bevor ich mich versah kam er auf mich zu, stand vor und streckte seinen Arm als Aufforderung heraus. Wie konnte ich da nein sagen? Es war zwar Damenwahl, aber ich konnte ja schlecht nein sagen. Als wir rumgingen und uns einen Platz zum Tanzen suchten, dachte ich mir, ich frage einfach ihn, ob er mit mir zum Ball gehen möchte. Ich hatte mir keine falschen



LINKS Hoffnungen gemacht. Als ich ihn aber fragte, sagte er ja! Ich war überglücklich gleich darauf fingen wir an zu tanzen. Später fragte ich ihn dann nochmal, ob er denn wirklich Lust hätte und er bejahte. Das Tanzen machte gleich viel mehr Spaß. Wir tanzten Walzer und hörten gar nicht mehr zu, was Helga sagte. Philipp konnte den Walzer ja sowieso und wir unterhielten und einfach. Es war echt toll. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob das so gut war ihn zu fragen. Ich finde ihn zwar total süß, aber ich habe Befürchtungen oder Angst, das er doch noch absagen könnte. Na ja. Lea und Caro haben mich jedenfalls beneidet, weil ich mit einem Fortgeschrittenen zum Ball gehe und der auch noch sehr gut tanzen kann. Ich hätte es mal wieder am Besten, meinte

RECHTS Lea. Sie tanzt wohl mit Flo und Caro wohl mit Johannes. Heute war jedenfalls wieder ’ne Party bei Stüwe. Ich war aufgeregt und hatte mir gewünscht, das Philipp nicht un g kommen würde, aber natürlich auch doch. Ich hatte irgendwie Angst vor einer Enttäuschung, einer Absage, er würde vielleicht nicht mit mir tanzen. Aber der Tag wurde sehr schön. Er hat mich gleich zu Anfang begrüßt. Bei vielen Tänzen kam er zu unserem Tisch rüber und ich ging gleich zu ihm um mit ihm zu tanzen. Es war echt toll wir haben so viel und professionell getanzt. Er hat mir so viel Neues beigebracht und ich konnte es auch meist sofort. Zwischendurch hatte Patzer und b war kurz rausgekommen, aber da haben wir beide nur gegrinst und weitergetanzt. Zwischendurch hat er aber auch mit



LINKS seiner Partnerin aus seinem Kurs getanzt und mir wur kam wieder der Gedanke, daß er eben nur mit mir tanzen möchte und bekam wieder Angst ihm lästig zu werden, ihn zu nerven. Ich bin mir einfach nicht sicher. Ich darf den Abschlussball wohl nicht zu ernst nehmen, es ist ja nichts besonderes. Leas und Caros Tanzpartner waren nicht da und Lea meinte: „Wenn Florian zu den nächsten Partys nicht kommt, dann gehe ich mit ihm nicht auf den Abschlussball!“ Kann ich verstehen, man muß ja schließlich üben. Naja ich bin ja gespannt, wie das weitergeht!

RECHTS G., Donnerstag der 15.1.98   ¶   Wieder ist viel Zeit seit meinem letzten Eintrag vergangen und wieder ist viel passiert in dieser Zeit. Der Abschlussball 29.11.97 war echt super. Wir haben so oft getanzt. Er Philipp hatte gemeint, er müsse viel schlafen. Es wäre die letzten Nächte viel auf Partys gewesen und immer spät ins Bett gegangen, deshalb müßten wir viel tanzen, damit er nicht einschlafe, sagte er. Na ja, toll, das kann ja heiter werden dachte ich, aber es wurde ein echt toller Abend. Beim Preistanzen haben wir ganz gut getanzt. Ich hatte mir aber nicht zu viel Hoffnung auf eine Platzierung gemacht. Wir mußten Walzer, Tscha Tscha Tscha und Fox Trott tanzen. Ich habe mir echt Mühe gegeben. Es wurde in zwei Gruppen getanzt. Eine enthielt die reinen Anfänger, in der anderen mußten die Gasttänzerpaare



LINKS tanzen. bewertet wurde dann auch getrennt. Doch dann, die Siegerehrung. Platz 3 Nummer 56. Ich konnte es nicht glauben. Das waren wir. Philipp hatte uns das ja schon vorausgesagt. Es war super. Ich bel Wir bekamen Urkunden und einen schönen Blumenstrauß, dazu jeder einen Umschlag. In meinem war ein Gutschein von 62 DM drin, ein Drittel des nächsten Kurses. Als dann schließlich auch die Sieger geehrt worden waren hieß es dann: „Jetzt küssen sich die Paare!“ „Wie bitte?“ dachte ich. Verlegen schaute ich mich um, da gab mir Philipp plötzlich einen Kuss auf die Wange. Ich konnte es gar nicht fassen. Ich war überglücklich. Lea und Caro hatten bei ihrem Tanz übrigens nichts gewonnen. Na ja, gleich nach der Ehrung folgte ein Tanz, ein

RECHTS Tscha Tscha Tscha. Mit Urkunden und Strauß tanzten auch wir. An diesem Abend taten mir jedoch meine weh, von diesen Tanzschuhen. Daran dachte ich aber diesen Abend nicht. Mit Papa mußte ich auch tanzen, aber nicht Walzer wie geplant, sondern Polka und Macarena. Es war so witzig. So gegen 1 Uhr war der Abend dann jedoch langsam zuende, jetzt hieß es sich zu verabschieden. Philipp und ich, wir standen uns gegenüber, ich wusste nicht ganz, was ich machen sollte. „Sollen wir und uns jetzt die Hand geben?“ fragte ich, was wir dann auch taten. Wir sagten „Tschüss“, standen uns aber immer noch gegenüber. Er schaute mich an, ich schaute ihn an. Das kann es noch nicht gewesen sein, so dachte er vielleicht auch. Und ehe ich mich versah, da hatte ich ihm auch schon einen Kuß auf die Wange gegeben.



[ erlebt: 14-jährig / 1997 ]
[ Medium: Tagebuch ] [ Archivierung: Elternhaus / Kinderzimmer / Kleiderschrank ]

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Die beiden Tagebucheinträge habe ich mit 14 geschrieben und sie erinnern mich an eine ganz besondere Zeit. Ein paar Monate vorher hatte ich nach über drei Jahren meine Zahnspange rausbekommen, hatte mir im gleichen Zug meine Haare abgeschnitten und fühlte mich wie neu geboren. Zu Beginn des Schuljahres haben sich einige Mädchen aus meiner Klasse zu einem Tanzkurs angemeldet. Das Tanzen hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir die ganze Woche an nichts anderes denken konnten als an die nächste Tanzstunde. Zu der Zeit habe ich auch angefangen, mich mehr für Jungs zu interessieren und mich mit ihnen zu beschäftigen. Das Tanzen war ideal dafür mit Jungs ins Gespräch zu kommen und mit ihnen auf Tuchfühlung zu gehen. So habe ich Philipp kennengelernt, mit dem ich während des Kurses viel getanzt und in den ich mich später auch verliebt habe.
       Die Art, wie wir uns kennengelernt und wie sich alles danach entwickelt hat, kam mir immer wie in einem romantischen Film vor und so verhielt es sich auch mit den Szenen, die in diesen Einträgen geschildert werden. Der Abschlussball stand kurz bevor und ich wollte unbedingt mit Philipp hingehen, hatte zu der Zeit aber große Angst vor Enttäuschungen, was an mehreren Stellen immer wieder deutlich wird. Als zum Ende der Tanzstunde der letzte Tanz angekündigt wurde und ich ihn aus den Augen verloren hatte, dachte ich schon, ich hätte die Chance verpasst. Plötzlich stand er jedoch vor mir, forderte mich zum Tanzen auf und sagte sogar »ja«, als ich ihn bat, mit mir zum Abschlussball zu gehen. Für mich war dies ein ganz besonderer und glücklicher Moment.
       Der Abschlussball hat diese romantische Geschichte schließlich fortgesetzt. Beim Preistanzen haben wir den dritten Platz belegt und ich war so beflügelt, dass ich dachte, dass es gar nicht mehr besser werden kann. Tatsächlich wurde es das aber noch. Nachdem Philipp mir diesen Kuss auf die Wange gegeben hatte, befand ich mich endgültig im siebten Himmel und mit meiner Erwiderung bei der Verabschiedung endete schließlich einer der schönsten Abende, die ich bis dato erlebt hatte. Ich bin froh, diese Momente damals in meinem Tagebuch festgehalten zu haben, um immer wieder dieses Glücksgefühl, das ich damals hatte, nachempfinden zu können.


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