Briefwechsel




TRANSKRIPT
B., den 27.1.’83   ¶   Grüzi!   ¶   Heute habe ich endlich mal alles andere aufgeschoben um Dir diesen, schon überfälligen Brief zu schreiben. Es ist nicht schlimm, daß Du zu meinem Problem nichts raten kannst, aber schade ist es schon. Übrigens habe ich diesen Jungen vergangenen Samstag Abend gesehen, als ich mit ein paar Leuten im Kino war. Zu allem Unglück hatte ich es aber sehr eilig und mußte bald weg und so weiß ich nicht, ob er nun auf seine Freundin gewartet hat, oder ob er da nur gewartet hat, weil am Eingang ein wahnsinniges Gedränge herrschte. Warst Du schon in E.T. Ich finde den Film ganz gut, aber das große Teather, das man um diesem Film gemacht war meiner Meinung nach unberechtigt. Hast Du den Film Pokys gesehen? Der läuft im Moment zwar in B., aber ich war noch nicht drin. Morgen gibt es dann also Zeugnisse, und bedauerlicher Weise fällt meines sauschlecht aus. Es ist sogar das schlechteste, das ich jemals hatte. Welchen Schnitt hast Du. Ich komme insgesamt auf 2,7. Nun denkst Du wahrscheinlich ich spinne, aber wenn ich wirklich mal studieren wollte, kann ich mir mit diesem Schnitt nicht gerade die tollsten Chancen ausrechnen. Ach ja, wärest Du sauer, oder fändest Du es langweilig, wenn ich Dir öfter schreiben würde, wie es mit der oben beschriebenen Sache nun steht. Hoffentlich nicht! Außerdem stand da am Kino eine silberne Rixe-Highsport mit der Nummer 213-RGS. Ich glaube, daß das seine ist, denn im Sommer habe ich ihn schon mal auf so einem Mofa gesehen und



diesmal hielt er auch einen Helm in der Hand: Meine Freundin hat ihn letztens in einem silbernen Mercedes gesehen (sie ist sich zumindest ganz sicher, daß er das war.) Die Nummer von dem Auto habe ich auch und nun habe ich mir folgendes überlegt: Wenn ich die beiden Nummern einschicke, müßten die Namen, der Besitzer, die ich ja dann erfahre doch eigentlich gleich sein, oder? Ich will es demnächst zumindest mal probieren. Welche Musik findest Du momentan am Besten? Ich diese: I don’t wanna dance (Eddy Grant) It’s raining again (Supertramp) Don’t pay the farrijman (Chris de Burgh) und ein paar von Rod Stewart. Hast Du eigentlich das Video zu It’s raining again in Thommy’s Video-Show gesehen! Wenn ja, erinnerst Du Dich noch daran? Der Junge, der darin nämlich die Hauptrolle gespielt hat, sieht genauso aus wie dieser eine Junge hier. Wenn Du dieses Video mal irgendwo sehen solltest, kannst Du ja darauf achten. Bitte schreib mir unbedingt, wie Du es findest! So nun noch eine Frage: Was würdest Du an meiner Stelle machen, wenn Du ihn das nächste Mal in der Stadt siehst! Bitte denk darüber nach. Bis bald grüßt Dich   ¶   Deine Anja



[ erlebt: 15-jährig / 1983 ]
[ Medium: Brief ] [ Archivierung: Schlafzimmer / auf dem Kleiderschrank / Karton ]

w40
Mit meiner Brieffreundin Anja führte ich seit 1978 ungefähr sieben Jahre lang einen regen Briefwechsel. Ich hatte mit zehn Jahren in der Zeitungsbeilage »Nessy und Wolf« eine Brieffreundin gesucht und sehr viele Zuschriften bekommen. Da ich nicht allen Mädchen antworten konnte, habe ich die restlichen Zuschriften unter meinen Klassenkameradinnen verteilt.
       Obwohl Anja nur 40 km entfernt wohnte, haben wir uns nie getroffen. Wir hatten mehrfach Treffen geplant, diese sind aber irgendwie nie zustande gekommen. Warum die Brieffreundschaft irgendwann eingeschlafen ist, weiß ich heute nicht mehr. Vor einiger Zeit habe ich Anja im Internet »gegoogelt« und nehme an, dass sie jetzt als Rechtsanwältin in Bielefeld arbeitet. Da sie ihren recht ausgefallenen Nachnamen behalten hat, zweifele ich nicht daran, dass sie es ist. Ich überlege im Moment, ob ich noch einmal Kontakt aufnehmen soll.
       Bei dem ausgewählten Brief vom 27.01.1983 handelt es sich um ein typisches Exemplar, das während unserer Pubertät entstand. In unseren Briefen ging es vor allem um Jungs, aber auch um Hobbys, Musik und Filme. Ich habe alle Briefe aus dieser Brieffreundschaft aufbewahrt, da ich solche persönlichen Erinnerungen einfach nicht entsorgen kann. Ab und zu suche ich mir einzelne Exemplare heraus und versuche die Erlebnisse von damals nachzuvollziehen. Da jedoch in den seltensten Fällen konkrete Namen genannt werden, weiß ich heute häufig nicht mehr, um wen oder was es konkret geht, zumal mir natürlich nur noch Anjas Briefe und nicht meine Erwiderungen vorliegen.


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