Spazierfahrt




TRANSKRIPT
Zur Erinnerung an Opa’s u. Oma’s goldene Hochzeit ¬ Niedzwetzken, d. 7.10.34


[ erlebt: 6-jährig / 1930 ]
[ Medium: Negativ-Foto-Abzug ] [ Archivierung: Wohnzimmer / Anrichte / Fotoalbum ]

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Ich bin als zweitjüngste von acht Geschwistern auf einem Hof im ostpreußischen Prostken im Kreis Lyck, direkt an der Grenze zu Russland aufgewachsen. Im etwa fünf Kilometer entfernten Wiesengrund lebten meine Großeltern auf einem Hof, wo 1934 dieses Foto anlässlich ihrer Goldenen Hochzeit entstand.
       Dieses Foto erinnert mich an eine Spazierfahrt, die ich mit etwa sechs Jahen erlebt habe. Meine Großeltern besaßen einen Spazierwagen (also eine Kutsche, nur ohne Dach) und ein Pferd, mit dem sie mich und meine Eltern einmal abholten, um zu einer Familienfeier zu fahren.
       Für vier Personen war Platz in dem Spazierwagen. Vorne zwischen Großvater, der kutschierte und Großmutter saß ich (ein bisschen eingeklemmt, aber warm) und genoss die Fahrt. Hin und wieder machte das Pferd sich Luft. Es brummelte und grummelte und roch nicht besonders gut. Ließ das Pferd dann und wann einige Pferdeäpfel fallen, »duftete« es ebenso. Um genau zu sein waren das sogar richtige Stinkbomben, die oft von einem lauten Knallen begleitet wurden. Die Fahrt bis zur Familienfeier ins 30 Kilometer entfernte Nowaken dauerte lange. Das Pferd trabte ganz gemächlich vor sich hin, da es ja nicht nur den Wagen, sondern auch die viereinhalb Insassen bewegen musste.
       Auf dem Rückweg wirkte das Pferdegetrappel so beruhigend auf mich, dass ich vor lauter Müdigkeit vom Sitz nach unten rutschte, wo ein Strohsack für warme Füße sorgte. Ich bekam noch eine Pferde­decke, von denen mehrere im Wagen griffbereit lagen. So verschlief ich die Rückfahrt wohlbehütet und zufrieden unter der Lederschutzdecke.


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